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Das verborgene Schmuckstück

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Das Ratsschreiberhaus in der Kurze Straße 11 in Waiblingen – Wie alles begann.

Mitten in der wunderschönen Altstadt von Waiblingen steht das sogenannte „Ratsschreiberhaus“. Es wurde nach seinem Erbauer benannt. Von 1643 bis 1710 sowie von 1768 bis 1819 befand sich darin die Stadtschreiberei, die wichtigste Anlaufsstelle der Stadtverwaltung. Der Stadtschreiber höchst persönlich hat darin auch mit seiner Familie gewohnt. Er musste vermutlich sehr vermögend gewesen sein, da er in der nördlichen Kurze Straße das einzige dreigeschossige Gebäude errichtete. Das restliche Gebäudeensemble besteht aus schmalen, zweigeschossigen Bauten.

Das Baudatum des historischen Fachwerkgebäudes des Barock ist das Jahr 1680 und befindet sich damit in der ersten Wiederaufbauphase nach dem großen Stadtbrand von 1634.

Das Fachwerkgebäude ist sehr aufwändig gebaut worden. Dies zeigt eines der freigelegten Fachwerkdetails: Das „Andreaskreuz und Raute“ als Brüstungsschmuck. Fachwerke des Barock sind in ihrem Balkenschmuck gegenüber den Bauten der Renaissance deutlich reduzierter, so dass eine Ausschmückung sowohl mit Raute und Andreaskreuz, also doppelt mit Schmuck, eine Besonderheit darstellt. Bei der Sanierung des Ratsschreiberhauses wurde jedoch nur das Andreaskreuz herausgearbeitet. Warum genau? – Dafür gibt es verschiedene Spekulationen. Aus Kostengründen bis zu optischen Vorlieben ist alles dabei.

Thermographieaufnahme vom verputzten Gebäude / Andreaskreuz mit Raute

Ein ganz besonderes Schmuckstück

Einer kleinen „Sensation“ gleich waren die Befunde der Außenbemalungen, die durch den Restaurator N. Malek sowohl am Gebälk, als auch an den verputzten Gefachen, sprich dem Teil zwischen den Holzbalken, entdeckt wurden.

Die Balken waren „ockerfarbig“ gestrichen und mit einer „kassettenartigen Unterteilung“ in verschiedenen Farben, die Licht und Schatten darstellen, und einer „Marmorierung“ versehen, die man bis dato noch an keinem Fachwerkgebäude entdeckt hatte.

Die Kurze Straße 11 im Jahr 1980 und heute.

Durch den Balkenanstrich wurden die Hölzer um ca. zwei bis drei Zentimeter in die Gefache hinein erweitert, um damit Unregelmäßigkeiten der Hölzer auszugleichen.
Die Fachwerkgefache waren mit Bandeliere, also Bänder über dem Kreuz, versehen und mit Arabesken, sprich Rankenornamenten, ausgemalt.

Bei der späteren Rekonstruktion der historischen Farbigkeit wurden die Fachwerkhölzer insgesamt mit der entdeckten „Marmorierung“ versehen, die Gefache nur an den Befundstellen auf der Südseite des Gebäudes.

Als eine weitere Besonderheit wurden im Innenbereich der Obergeschosse „Stuckkassettendecken“ entdeckt, deren Details zunächst unter bis zu zwanzigfachen Übertünchungen versteckt waren.
Dazu kam noch eine im Innenbereich mit grau bemalte Fachwerkwand mit Bandelieren, die durch eine unsachgemäße Verlegung von Elektroleitungen zur Offenlegung kam und mit der Decke zusammen eine Architekturausmalung darstellte.

Die Freilegungen der Decken und die Rekonstruktion der Fachwerkinnenwand komplettierten die Gesamtmaßnahme. Die Qualität der Stuckdetails wird in Verbindung gebracht mit dem Barockkünstler Heinrich Waibel, der um 1680, in der parallel zu diesem Gebäude wiedererrichteten Nikolauskirche, die dortige barocke „Stuckkanzel“ gestaltet hat.

Steinige Freilegung

Probleme der Freilegung, die auf Antrag der Hauseigentümer erfolgte, gab es allerdings auch. Vor allem der baulich, konstruktive Zustand der Gebäudefassade, insbesondere der Nordwestfassade, war schlichtweg miserabel.

Zuerst musste die gesamte Fassade abgestützt werden, da ca. 75 % der Fachwerkhölzer beschädigt waren. Dann mussten „Stück für Stück“ die Hölzer ausgewechselt werden.
Der Putz, der abgenommen wurde, hing tatsächlich nur noch an dem berühmten „seidenen Faden“,  hier in Form von Drahtgeflecht.

Einzigartiges Alleinstellungsmerkmal

Das „Ratsschreiberhaus“ stellt in der wiederentdeckten Farbigkeit durch die vorgefundene „Marmorierung des Gebälks“ ein absolut einmaliges Gestaltungsbeispiel dar und begründet zudem die erforderlichen wissenschaftlichen Untersuchungen von historischen Gebäuden. Nur dadurch können Verluste historischer Bausubstanz vermieden werden. In der Mitte des 18. Jahrhunderts wurden übrigens sehr viele Fachwerkhäuser verputzt und überspachtelt. Fachwerkfassaden galten als unmodern! Hauptsächlich war es aber der Brandschutz, der in vielen Fällen zur „Modernisierung“ der Fassade geführt hatte.

Seit 1977 werden im Rahmen der Sanierung der historischen Altstadt immer wieder verputzte Gebäude freigelegt. Zu sehen z.B. auch durch die Auszeichnung „Vorbildliches Sanierungsvorhaben“, überreicht durch den Heimatverein Waiblingen.

Wichtig waren für die Eigentümer der Kurze Straße 11 auch die Zuschüsse von Stadt und Land, da diese Freilegungsmaßnahmen privat nur sehr schwer finanzierbar wären. Die Stadt Waiblingen, als auch das Landesdenkmalamt sind Ansprechpartner, um die Mehrkosten für eine Fachwerkfreilegung bezuschusst zu bekommen.

Waiblingen kam durch die Freilegung des Ratschreiberhauses, mehr oder weniger ungewollt, zu einem herausragenden Alleinstellungsmerkmal. Fachwerkhäuser mit dieser Art von marmorierten Balken, wie es in der Kurze Straße 11 zu sehen ist, sind sehr selten. Von unserem Autor Kurt Christian Ehinger wurde eines in Mühlhausen in Thüringen besichtigt.

Wer uns ein Foto in ähnlichem Stil aus anderen Städten liefern kann, ist hierzu herzlich aufgerufen. Kontaktdaten siehe Impressum.

Die Kurze Straße in der Waiblinger Altstadt


Verfasser:
Kurt Christian Ehinger, Dipl.-Ing. Architekt,
Rosensteinstraße 7
71576 Burgstetten

In Zusammenarbeit mit der Redaktion von „Waiblingen erleben“, Nadine Müller.

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